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Die Rolle und Pflichten des Liquidators bei Unternehmensinsolvenz in Frankreich

Ein umfassender Leitfaden durch das französische Insolvenzrecht

Die Liquidation eines Unternehmens in Frankreich ist ein komplexer juristischer Prozess, bei dem der Liquidator (Liquidateur judiciaire) eine zentrale Rolle spielt. Als vom Gericht bestellter Treuhänder trägt er die Verantwortung für die ordnungsgemäße Abwicklung des Unternehmens und die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger.

Für deutsche Unternehmen mit Niederlassungen in Frankreich oder für Gläubiger französischer Unternehmen ist es essentiell, die Pflichten und Befugnisse des französischen Liquidators zu verstehen.

Dieser Artikel bietet Ihnen einen detaillierten Überblick über die Kernpflichten des Liquidators im französischen Insolvenzrecht und zeigt auf, welche Rechte Sie als betroffene Partei haben.

Was ist ein Liquidator (Liquidateur) im französischen Insolvenzrecht?

Definition und rechtliche Stellung

Der liquidateur judiciaire ist ein vom Handelsgericht (Tribunal de commerce) bestellter, unabhängiger Insolvenzverwalter.

Er ist ein gesetzlich zugelassener Insolvenzverwalter (mandataire judiciaire), der auf einer vom Justizministerium geführten Liste eingetragen ist (Art. L. 812-2 des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de commerce)) und eine Berufshaftpflicht- sowie Garantieversicherung unterhalten muss (Art. L. 814-5 Code de commerce).

Diese Verfahrensart greift, wenn ein Unternehmen in Zahlungsunfähigkeit geraten ist und keine Aussicht auf Sanierung besteht.

Gemäß Artikel L 641-9 Code de commerce unterliegt das insolvente Unternehmen während der gesamten Liquidation dem Grundsatz der Enteignung (dessaisissement). Dies bedeutet, dass das Unternehmen seine Rechte und Ansprüche bezüglich seines Vermögens nicht mehr selbst ausüben kann – diese Aufgabe übernimmt vollständig der Liquidator.

Wichtig: Der Liquidator handelt nicht im Interesse des Schuldners, sondern hat die Aufgabe, das Vermögen bestmöglich zu verwerten und die Gläubiger entsprechend ihrer gesetzlichen Rangfolge zu befriedigen.

Die Gesellschaft bleibt jedoch gemäß Art. L. 237-2 und L. 237-3 Code de commerce für die Zwecke der Liquidation rechtsfähig, bis das Gericht die endgültige Schließung der Liquidation (clôture) beschließt.

Die Kernpflichten des Liquidators im Detail

Die Tätigkeit des Liquidators in Frankreich umfasst ein breites Spektrum an Pflichten, die im Code de commerce präzise geregelt sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Aufgabenbereiche erläutert:

1. Bestandsaufnahme und Verwaltung des Vermögens

Inventarisierung

Die erste und grundlegende Pflicht des Liquidators besteht darin, eine vollständige Bestandsaufnahme des Unternehmensvermögens (actif) durchzuführen.

Diese Pflicht ergibt sich ausdrücklich aus Art. R. 641-15 Code de commerce.

Dies umfasst:

  • Materielle Vermögenswerte (Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge, Lagerbestände)
  • Immaterielle Vermögenswerte (Patente, Marken, Geschäftswert, Forderungen)
  • Finanzielle Vermögenswerte (Bankguthaben, Wertpapiere, Beteiligungen)
  • Alle vertraglichen Rechte und Ansprüche des Unternehmens

Sicherung und Erhaltung

Parallel zur Inventarisierung muss der Liquidator alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Vermögen zu sichern und seinen Wert zu erhalten. Dies kann die Einstellung von Wachpersonal, die Fortsetzung notwendiger Versicherungen oder die Durchführung dringender Instandhaltungsmaßnahmen umfassen.

2. Verwertung und Verkauf des Unternehmensvermögens

Prinzipien des Verkaufs

Die Hauptaufgabe des Liquidators besteht in der Verwertung des Unternehmensvermögens zum bestmöglichen Preis. Dabei stehen ihm verschiedene Verkaufsmethoden zur Verfügung:

  1. Öffentliche Versteigerung (vente aux enchères publiques): Insbesondere für bewegliche Vermögenswerte vorgesehen, um Transparenz und Wettbewerb zu gewährleisten.
  2. Freihändiger Verkauf (vente de gré à gré): Möglich bei vorheriger Genehmigung durch den Aufsichtsrichter (juge-commissaire), insbesondere wenn dies im Interesse der Gläubigermasse liegt.
  3. Betriebsveräußerung als Ganzes (cession d’entreprise): Wenn möglich, wird versucht, das Unternehmen oder Unternehmensteile als funktionsfähige Einheit zu verkaufen, um den Wert zu maximieren und Arbeitsplätze zu erhalten.

Genehmigungspflichten

Eine Genehmigung des juge-commissaire ist nur erforderlich, wenn der Liquidator einen Vergleich (transaction) abschließen möchte, die die Gläubigergesamtheit betrifft. Bei unbestimmtem oder hohem Streitwert ist zusätzlich eine gerichtliche Homologation erforderlich (Art. L. 642-24 Code de commerce).

Wie ein aktuelles Urteil des Berufungsgerichts Versailles vom 15. Juli 2025 zeigt, kann das in Liquidation befindliche Unternehmen unter bestimmten Umständen sogar gegen solche genehmigten Entscheidungen Rechtsmittel einlegen – jedoch nur, wenn es um den Verzicht auf eine Klage zur Verfahrenserweiterung (extension de procédure) geht.

3. Einziehung offener Forderungen

Identifizierung und Geltendmachung

Der Liquidator hat die Pflicht, alle dem Unternehmen zustehenden Forderungen zu identifizieren und einzuziehen. Dies umfasst:

  • Offene Kundenforderungen (créances clients)
  • Rückforderungsansprüche gegen Dritte
  • Ansprüche aus anfechtbaren Rechtsgeschäften (action paulienne)
  • Ansprüche aus Verfahrenserweiterungen (extension de procédure) bei Vermögensvermischung

Möglichkeiten der Durchsetzung

Zur Durchsetzung dieser Forderungen kann der Liquidator verschiedene rechtliche Schritte einleiten, von außergerichtlichen Mahnungen über gerichtliche Mahnverfahren bis hin zu Vollstreckungsmaßnahmen. Er hat auch das ausschließliche Recht, Klagen zur Forderungsbeitreibung zu erheben – das insolvente Unternehmen selbst ist hier grundsätzlich nicht aktivlegitimiert.

4. Begleichung der Schulden und Gläubigerbefriedigung

Rangfolge der Gläubiger

Eine der wichtigsten Pflichten des Liquidators besteht darin, die Verbindlichkeiten des Unternehmens (passif) zu ermitteln und die Gläubiger entsprechend der gesetzlich vorgeschriebenen Rangfolge zu befriedigen.

Ergänzend gilt das nach Art. L. 641-13 Code de commerce: Forderungen, die nach der Verfahrenseröffnung ordnungsgemäß entstanden sind, werden vorrangig und fristgerecht bezahlt.

 

Rang

Gläubigerart

1.

Kosten des Verfahrens (frais de justice) und Forderungen aus der Masse (créances de la masse)

2.

Privilegierte Gläubiger mit gesetzlichem Vorrecht (créanciers privilégiés): z.B. Arbeitnehmer für Lohnansprüche (super-privilège salarial), Sozialversicherungsträger, Steuerbehörden

3.

Gesicherte Gläubiger (créanciers garantis): Gläubiger mit dinglichen Sicherheiten (Hypotheken, Pfandrechte)

4.

Einfache Gläubiger (créanciers chirographaires): Ungesicherte Gläubiger ohne Vorrecht

 

Verteilungsplan

Der Liquidator erstellt einen detaillierten Verteilungsplan (projet de répartition), der dem juge-commissaire zur Genehmigung vorgelegt wird (Art. R. 643-7 Code de commerce). In diesem Plan wird festgelegt, wie die aus der Vermögensverwertung erzielten Mittel auf die verschiedenen Gläubigerklassen verteilt werden. Einfache Gläubiger erhalten in der Regel nur eine Quote, deren Höhe von der verfügbaren Masse abhängt.

5. Erstellung der Schlussrechnung und Abschluss des Verfahrens

Berichtspflichten

Der Liquidator ist verpflichtet, während des gesamten Verfahrens regelmäßig Bericht an den juge-commissaire zu erstatten (Art. R. 641-38 Code de commerce).

Am Ende des Liquidationsverfahrens muss er eine umfassende Schlussrechnung (compte définitif) vorlegen, die alle Einnahmen und Ausgaben im Detail dokumentiert.

Antrag auf gerichtliche Entlastung

Nach Abschluss aller Verwertungs- und Verteilungsmaßnahmen beantragt der Liquidator beim Gericht die Schließung des Verfahrens (clôture de la liquidation). Das Gericht prüft die Ordnungsmäßigkeit der Verfahrensabwicklung und erteilt dem Liquidator Entlastung.

Mit der gerichtlichen Schließung und den anschließenden Publizitätsmaßnahmen endet die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft endgültig; bis dahin bleibt sie für die Zwecke der Liquidation rechtsfähig (Art. L. 237-2 und L. 237-3 Code de commerce).

Häufig gestellte Fragen zum französischen Liquidator

Wer bestellt den Liquidator?

Der Liquidator wird vom zuständigen Handelsgericht (Tribunal de commerce) (bei Kaufleuten und/oder Handelsgesellschaften) oder vom Tribunal judiciaire (bei nicht-kommerziellen Schuldnern) bestellt. Er wird aus der offiziellen Liste der mandataires judiciaires gewählt und unterliegt den Pflichten aus Art. L. 812-2 und L. 814-5 Code de commerce (Versicherung und Garantie).

Welche Haftung hat der Liquidator?

Der Liquidator haftet für Pflichtverletzungen bei der Ausübung seines Mandats. Er muss eine Berufshaftpflichtversicherung aufrechterhalten. Bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlichem Fehlverhalten kann er persönlich haftbar gemacht werden. Seine Tätigkeit unterliegt der Aufsicht durch den juge-commissaire und kann von Gläubigern angefochten werden.

Wie lange dauert eine Unternehmensliquidation in Frankreich?

Das Gesetz schreibt keine feste Dauer vor. Die Dauer variiert erheblich je nach Größe und Komplexität des Unternehmens. Einfache Liquidationen können erfahrungsgemäß innerhalb von 6-12 Monaten abgeschlossen werden, während komplexe Verfahren mit umfangreichen Vermögenswerten, laufenden Rechtsstreitigkeiten oder internationalen Verflechtungen mehrere Jahre in Anspruch nehmen können.

Kann ich den Liquidator anfechten?

Ja, Gläubiger und in bestimmten Ausnahmefällen auch der Schuldner können Entscheidungen des Liquidators anfechten. in solches Recht besteht insbesondere dann, wenn der Liquidator eine Transaktion abschließen möchte, die den Verzicht auf eine Klage zur Verfahrenserweiterung betrifft (CA Versailles 15.07.2025).

Fazit: Warum professionelle Beratung unerlässlich ist

Die Liquidation eines Unternehmens in Frankreich ist ein hochkomplexes Verfahren, das fundierte Kenntnisse des französischen Insolvenzrechts erfordert. Der Liquidator trägt eine große Verantwortung und seine Entscheidungen haben weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten – Gläubiger, Arbeitnehmer und das Unternehmen selbst.

Für deutsche Unternehmen oder Gläubiger, die mit einer französischen Unternehmensliquidation konfrontiert sind, ist es von entscheidender Bedeutung, frühzeitig fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen. Nur so können Ihre Rechte gewahrt und Ihre Interessen optimal vertreten werden.

Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich allgemeinen Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Das französische Insolvenzrecht ist komplex und unterliegt regelmäßigen Änderungen. Für die Beurteilung Ihrer individuellen Situation sollten Sie stets qualifizierten rechtlichen Rat einholen. Coffra group übernimmt keine Haftung für Handlungen, die auf Grundlage der hier bereitgestellten Informationen getroffen werden.