HOHE POLITISCHE HERAUSFORDERUNGEN BELASTEN DIE „RENTRÉE“ 2023
Hohe politische Herausforderungen belasten die „Rentrée“ 2023 Eine heiße Sommerpause geht abrupt zu Ende, aber eine nicht weniger turbulente politische Herbstperiode zeichnet sich ab.
Das erste Jahr der zweiten Amtszeit von Präsident E Macron war stark belastet durch die fehlende absolute Mehrheit im Parlament. Die Rentenreform konnte so – mangels einer Einigung mit der konservativen Rechtspartei (LR) – nur mithilfe des äußerst unbeliebten, als „undemokratisch“ angesehenen Artikel 49.3 verabschiedet werden. In der Nationalversammlung kam es zu tumultartigen, aggressiven und die parlamentarischen Grundregeln völlig missachtenden Ausschreitungen. Premierministerin Elisabeth Borne war gezwungen, zehnmal den Artikel 49.3 zu ergreifen.
Ein übereilter Schuss eines Polizisten auf einen flüchtenden jugendlichen Verkehrssünder Ende Juni, der zu dessen Tod führte, löste eine Serie von Krawallen sowie ausschreitenden Demonstrationen aus und schürte zusätzlich die aufgeheizte Aversion gegen die Staatsgewalt.
Präsident Macron verordnete eine hunderttägige politische Ruhepause und versprach für den 14. Juni 2023 die Ankündigung einer „großen politischen Initiative“, die jedoch auf die Nachferienzeit verschoben wurde. Stattdessen kam es zu einer Regierungsumbildung, wobei zur Überraschung der öffentlichen Meinung die nicht sehr charismatische und wenig populäre Premierministerin Elisabeth Borne wieder im Amt bestätigt wurde.
Die nun vorliegende politische Agenda ist entsprechend umfangreicher und reichlich konfliktbeladen: Zunächst muss nun das bereits im Dezember 2022 vom Parlament abgelehnte Gesetz zur Entwicklung der öffentlichen Finanzen für den Zeitraum von 2023 bis 2027 („Loi de programmation des finances publiques“ – „LPFP“) noch genehmigt werden. Der Gesetzesentwurf sieht vor, innerhalb dieser Zeitspanne das Haushaltsdefizit unter die Marke von 3% zu bringen, die Staatsschulden auf 110,9% des BIPs zurückzuführen und die staatliche Ausgabenquote jährlich nicht mehr als 0,6% ansteigen zu lassen.
Die Regierungschefin hat nun vorgesehen, die Zahlen des obigen Gesetzentwurfs aus 2022 im Rahmen der Diskussionen für das Budget 2024 anzupassen und ihn Ende September genehmigen zu lassen. In Anbetracht der weiterhin bestehenden großen Spannungen mit allen Oppositionsparteien ist eine abermalige Ablehnung nicht auszuschließen. Die dann notwendige Anwendung von Artikel 49.3 hätte die fatale Folge, dass ein weiterer Gebrauch dieser „Notwaffe“ für normale Gesetzesvorhaben – mit Ausnahme von Haushaltsgesetzen – in der laufenden Gesetzesperiode nicht mehr möglich wäre. Dabei ist auch nicht auszuschließen, dass wie in den vorausgegangenen, komplizierten Abstimmungsvorgängen zum Rentengesetz, wiederum ein Misstrauensantrag, aber dieser Mal mit Unterstützung der LR, gestellt und die Regierung zum Rücktritt gezwungen würde.
Das „LPFP“ muss nun jedoch unbedingt der EU-Kommission vorgelegt werden, schon aus Glaubwürdigkeitsgründen. Darüber hinaus ist die Einreichung bei den europäischen Instanzen aber auch zwingende Voraussetzung, um weitere 40 Mrd. €, die Frankreich aus dem bestehenden europäischen Wiederaufbaufonds bereits zugeteilt wurden, effektiv zu vereinnahmen.
Es besteht also zwingender Handlungsbedarf. Emmanuel Macron muss wieder voll aktionsfähig werden. Ansonsten könnten die verbleibenden 3,5 Jahre Präsidentschaft für Frankreich verlorene Jahre werden. In diesem Sinne erging seine Einladung an alle Chefs der in der Nationalversammlung und im Senat vertretenen Parteien, zu einem offenen und loyalen Gesprächsaustausch. Überraschenderweise wurde die Initiative von allen Betroffenen, trotz vieler Bedenken und niedriger Erwartungshaltung angenommen. Für die Gesprächsrunde, für die keine Tagesordnung verschickt wurde, wollte der Präsident unter anderem alle Möglichkeiten bei den Anwesenden ausloten, wie die derzeitige politische Blockade entspannt, ein Modus Vivendi zwischen Exekutive und Parteien gefunden und ein Dialog mit der Bevölkerung wieder hergestellt werden könnte.
Das auf den 30. August anberaumte Treffen fand in den prestigeträchtigen Ausbildungsräumen der Légion d’Honneur in Saint Denis statt. Die sehr offen geführten Gespräche wurden völlig protokollfrei, ohne Berater und Mobiltelefone hinter geschlossenen Türen geführt und erstreckten sich immerhin über 12 Stunden. Im Wesentlichen ging es um die Behandlung von drei Themenblöcken: internationale Lage, Reformen der staatlichen Institutionen und letztlich, das gespaltene Land wieder zusammenzuführen. Im Mittelpunkt standen Diskussionen über die eventuelle Durchführung von Referenden. Hinsichtlich der Themenkreise traten jedoch große Differenzen zwischen den Anwesenden zutage. Darüber hinaus erklärte sich Präsident Macron bereit zur Abhaltung einer großen „Sozialkonferenz“.
Das Ergebnis der Begegnung wurde von Regierungsseiten als sehr instruktiv, offen und positiv angesehen, wohingegen es von den Regierungsparteien in ihrer ersten Stellungnahme zunächst als kritisch betrachtet wurde. Von der radikalen Linksvereinigung NUPES wurde wie erwartet eine große Enttäuschung zum Ausdruck gebracht. Trotzdem sind alle Beteiligten bereit, an einer weiteren in gleicher Form durchgeführten Gesprächsrunde wieder teilzunehmen.
Präsident Macron hat einen ersten wichtigen Schritt gemacht; nun müssen aber schnell die richtigen Umsetzungsmaßnahmen erfolgen.
Noch ein Wort zu der derzeitigen Wirtschaftslage Frankreichs. Ungeachtet des bestehenden politischen Unruhezustandes wurde die hohe Inflationsrate kräftig nach unten gedrückt. Und für 2023 wird weiterhin von einem Wirtschaftswachstum von 1% ausgegangen. Dies geht aber vorwiegend zu Lasten der öffentlichen Ausgaben und führt damit automatisch zu einer Erhöhung des gigantischen Schuldenberges, der mittlerweile in absoluten Zahlen bei 3.000 Mrd. € liegt. Das Budgetdefizit dürfte zu Ende des Jahres 2023 wiederum auf 4,9% gestiegen sein. In Anbetracht der weiterhin bestehenden hohen Zinssätze wird die Zinsbelastung durch die staatliche Verschuldung bis 2027 auf jährlich 70 Mrd. € ansteigen (in 2023 waren es ca. 50 Mrd. €). Die Diskussionen im September zum Budget 2024 werden sich als sehr schwierig erweisen. Das bisher angenommene Wachstum von +1,6% erscheint nicht mehr erreichbar, und die versprochene Steuerermäßigung von 4 Mrd. € bei den Produktionssteuern wurde von der Regierung zwischenzeitlich zurückgenommen. Die Auswirkungen können nur durch unpopuläre Ausgabenkürzungen – Steuererhöhungen werden kategorisch von der Regierung ausgeschlossen – kompensiert werden. Es bleibt also weiterhin spannend.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.
Ihre DiagnosticNews-Redaktion
Founder, Chartered Accountant, Statutory Auditor, Wirtschaftsprüfer
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