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DIAGNOSTIC NEWS N°215

Frankreich hat gewählt Die schlimmsten Befürchtungen eines klaren Wahlsieges der radikalen Rechtspartei „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen sind nicht eingetreten. Die Mobilmachung aller Parteien gegen den gemeinsamen Gegner, die RN, hat voll sein Ziel erreicht. Die getroffenen Absprachen untereinander, jeweils den nach dem ersten Wahlgang schlechter platzierten Kandidaten der eigenen Partei zugunsten des besser liegenden Vertreters der anderen Partei zurückzuziehen, wurden weitgehend eingehalten. Der Erdrutsch für die RN, der sich bereits mit großem Abstand mit einer erheblichen, wenn nicht sogar mit der absoluten Mehrheit im Parlament sah, ist ausgeblieben. Es kam noch schlimmer, die Anhänger von Le Pen müssen sich nun sogar mit der dritten Position begnügen.

Dafür schaffte es aber die neue Volksfront („Nouveau Front Populaire“ – NFP), ein kurzfristig gebildetes Wahlbündnis aller Linksparteien einschließlich der Grünen („écologistes“) zum Klassensieg und stellt nunmehr die größte Abgeordnetenzahl in der neuen Nationalversammlung.

Auch die Vertreter des Regierungslagers konnten letztlich von der „Verzichtsvereinbarung“ gegen die RN profitieren und damit die nach dem ersten Wahlgang sich abzeichnende Katastrophe abwenden. Als nunmehr zweitgrößte parlamentarische Vertretung – vor der Auflösung verfügte sie noch über eine stattliche, relative Mehrheit – kam sie gerade noch mit einem blauen Auge davon.

Aber was wurde nun durch das äußerst fragwürdige Manöver des Staatspräsidenten, dessen Motivation hierzu weiterhin im Unklaren liegt und auch nur schwer nachvollziehbar ist, eigentlich erreicht?

Wenn es Emmanuel Macron u.a. darum ging, die RN nach deren haushohen Sieg bei den Europawahlen von der Machtübernahme im Parlament des eigenen Landes abzuhalten, dann wurde dieses Ziel – auch wenn es bis zum letzten Augenblick des Wahlkampfes nicht mehr zu erwarten war, erreicht. Wenn er hingegen eine Klarstellung des parlamentarischen Kräfteverhältnisses in der Nationalversammlung anstrebte, so ging dieser Schuss genau in die andere Richtung. Anstelle einer eindeutigen Regierungsmehrheit stehen sich nun drei große Parteiblöcke mit diametral entgegengesetzten Wahlprogrammen und Ideologien gegenüber.

Die erhoffte Klarstellung könnte zu einer Chaossituation führen. Eine Regierungsbildung nur durch einen der vorliegenden Blöcke scheidet von vorneherein aus. Es bedarf also einer Koalition von zwei oder mehreren Parteien. Eine Vorgehensweise, die weder den bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten noch dem französischen vertikalen Führungsstil, dem der Konsensgedanke weitgehend fehlt, entspricht.

Auf den ersten Blick dürften sich die hierfür zur Verfügung stehenden Optionen in ihrer Durchführung als äußerst schwierig erweisen. Für das neugebildete Bündnis der vier linken Parteien (NFP) lehnte der extrem radikal ausgerichtete Führer, der eigentlich nur für seine eigene Partei, die LFI, sprechen kann, kategorisch jegliche Kooperation mit der Regierungspartei ab. Ähnlich, wenn auch etwas weniger aussichtslos, könnten sich Gespräche mit der Sozialistischen Partei, dem anderen Flügel der NFP ergeben. Bei einer solchen Konstellation wären jedoch sicherlich enorme Zugeständnisse zwischen den hinsichtlich der im Augenblick noch als utopisch und nicht finanzierbar anzusehenden Vorstellungen der Sozialisten, im Wesentlichen zu Sozial-, Finanz- und Wirtschaftsthemen, erforderlich.

Der Auftrag zur Findung einer Lösung liegt nun beim Staatspräsidenten, dem laut Verfassung das alleinige, ungeteilte Ernennungsrecht zur Bildung einer neuen Regierung zusteht. In der Zwischenzeit führt die alte Regierungsmannschaft, die vorläufig im Amt bleibt, die laufenden Geschäfte weiter.

Seit der Aufkündigung des Parlaments sind vier Wochen vergangen, in denen es bereits zu einem gewissen Stillstand kam. Viele Entscheidungen in der Öffentlichen Verwaltung und der Privatwirtschaft wurden vertagt, teilweise sogar aufgehoben. Die wirtschaftliche Attraktivität Frankreichs, das noch in 2023 zu den besten Standorten Europas zählte, ist in Frage gestellt. Der Slogan „Choose France“, der von Emmanuel Macron in dem jährlichen Treffen der großen Wirtschaftskapitäne in Versailles so erfolgreich dargelegt wurde, darf nicht, wie es die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ vom 8. Juli 2024 formulierte, zu „Leave France“ werden.

Die öffentlichen Kassen sind leer. Die hohe Verschuldung und das Haushaltsdefizit können u.a. nur durch die bereits genannten 10 Mrd. € Einsparungen zurückgefahren werden. Dafür bedarf es einer guten, ökonomisch vernünftigen und realisierbaren Haushaltsführung. Die Maßnahmen und Programmpunkte der Sozialisten zu diesem Punkt würden die derzeitige Lage noch weiter nach unten drücken.

Es kommen schwere Herausforderungen auf Frankreich zu. Die gerade nochmals abgewendete Gefahr der Radikalisierung nach rechts darf nicht zu einer Inkaufnahme einer nicht mehr finanzierbaren Haushaltspolitik führen. Die Rating-Agenturen haben bei ihrer letzten Bewertung im Frühjahr 2024 wegen der zu diesem Zeitpunkt dargelegten positiven Zukunftsaussichten von einer Zurückstufung Frankreichs Abstand genommen. Auch die Refinanzierung der Schuldenlast erfolgt immer noch zu vertretbaren Konditionen. Aber wie lange noch?

Am 18. Juli wird die neu gewählte Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammentreten, um den Parlamentspräsidenten und die Vorsitzenden der wichtigen Ausschüsse zu wählen. Der Ablauf dieser Versammlung kann vielleicht bereits einen Vorgeschmack auf die bevorstehenden Ereignisse geben.

Danach werden die mit Spannung erwarteten Olympischen Spiele sowie die obligatorische französische Sommerpause das Land dominieren und ablenken. Wir müssen uns auf einen heißen September einstellen.

Wir wünschen Ihnen nunmehr eine schöne, erholsame Sommerzeit und werden uns im September wieder bei Ihnen melden.

Ihre DiagnosticNews-Redaktion

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